Am häufigsten fragen mich die Menschen: „Ist alles normal mit mir?”

Mit unserer neuen Kampagne möchten wir uns dafür stark machen, dass Frauen* sich nicht für andere verbiegen und einfach so sind wie sie sein wollen. Wir möchten echten Powerfrauen aus unserer Community eine Plattform geben, ihre Geschichte zu erzählen und so uns und andere Frauen* zu empowern und inspirieren. Offen und ehrlich - ganz nach dem Motto: #seiwieduwillst

Wir freuen uns riesig, euch unsere 3. Powerfrau vorzustellen. Die Sexualpädagogin Magdalena Heinzl aus Oberösterreich möchte eines - und zwar über das Tabuthema Sex & Sexualität sprechen, aufklären und mit Wissen, Offenheit und Humor normalisieren; Denn für Magdalena gehört das einfach zur Gesundheit dazu. In dem Interview erzählt sie, warum ihr der Job so Spaß macht, warum das Thema nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu ist & was ihre größte Herausforderung ist.

Was macht dir denn am meisten Spaß an deinem Job? Was motiviert dich?

Dieses Gefühl, dass ich kriege, wenn ich Menschen etwas erzähle und merke “oh, da geht eine Glühbirne an” - dieses Aha-Erlebnis, das Empowern. Oder wenn sich Leute dann zum Beispiel nach ein paar Wochen wieder melden und sagen “boah, meine Sexualität hat sich echt verändert, ich bin viel zufriedener mit meinem Sexleben, ich habe viel mehr Dinge ausprobiert, an die ich vorher nicht mal gedacht hätte. Ich habe gelernt meinen Körper besser zu spüren” oder “jetzt ergibt es endlich einen Sinn, was ich schon so lange wahrgenommen habe, aber nicht zuordnen konnte.” Gerade wenn es um den Zyklus zum Beispiel geht. Ich glaube, das ist es, was mich so reizt. Und die Leute sind dann auch sehr froh, wenn sie jemanden haben, bei dem sie spüren, er oder sie verurteilt mich nicht, sondern hört einfach zu, und das was ich mache ist normal. Das ist wahrscheinlich auch die Frage, die die meisten Menschen umtreibt, “bin ich normal”? Ist alles normal mit mir?” Gerade wenn man dann zum Beispiel Fantasien hat und sich eigentlich denkt “um Gottes Willen, würde ich mir in Real Life nie wünschen oder vorstellen. Wieso fantasiere ich das und wieso erregt mich das?” Da gibt es ja viele Themen, bei denen man selbst total ins struggeln kommt, wenn man kein Info kriegt, dass alles in Ordnung mit einem ist.

Bei meiner Arbeit merke ich auch total den Bedarf. Die Leute sind so froh, weil Biologieunterricht halt nicht Biologieunterricht ist, sondern es von bis sein kann und ganz viele keinen Plan haben, wie die eigene Anatomie aussieht. Sex ist nicht nur Penetration und es gibt nicht nur heterogeschlechtliche Pärchen, sondern eben viel viel mehr. Mein Job wird nie langweilig, weil dieses Thema so groß ist.

Wie berätst du? Wie leistest du deine Arbeit?

Momentan natürlich sehr viel virtuell. Wenn Menschen, die sich bei mir melden aber lieber schreiben, kommuniziere ich so mit ihnen. Genauso gut klappt aber auch das Versenden von Sprachnachrichten, per Zoom oder telefonieren - da richte ich mich ganz nach den Bedürfnissen. Auch Körperarbeit ist online gut möglich.

Wer kommt am meisten auf dich zu? Männer*, Frauen* oder auch Paare?

Tatsächlich kontaktieren mich gleich viele Männer* wie Frauen*, aber auch Menschen, die non-binary sind oder trans, also das Geschlecht könnte ich jetzt tatsächlich nicht sagen. Das ist wirklich sehr unterschiedlich und was ich natürlich auch mache, sind Paarberatungen. Wobei ich da trotzdem einfach ganz gern mit den Einzelpersonen arbeite, weil jedes Individuum in seiner eigenen Sexualität funktioniert und da muss ich mich erstmal richtig reinlassen, um zu sehen “hey wie arbeitet der Körper normalerweise, wie funktioniert die Lust, wie funktioniert das Erregungssystem, um dann herauszufinden wo es hakt, wenn diese beiden Individuen dann zusammen kommen. Insofern mache ich keine klassische Paarberatung im Sinne von “ihr müsste Kompromisse finden”.

Bei mir melden sich gerade viele junge Männer mit erektilen Dysfunktionen. Da ist dieser Performancedruck von außen und natürlich haben - sage ich jetzt mal - cis Frauen genauso viele Klischees, die auf ihnen lasten. Aber umgekehrt merke ich es gerade, wenn es ums Thema “Mann sein” und “Männlichkeit” geht, dass dies so stark mit einem steifen Penis verknüpft ist, was ich immer noch blöd finde und für niemanden hilfreich. Aber es ist fest in den Köpfen und das beeinträchtigt uns auch stark im lustvollen Wahrnehmen. Dieses Spielerische „den Körper entdecken“ haben wir nie wirklich gelernt, weil wir in einer Gesellschaft groß geworden sind, in der Sexualität schambehaftet ist oder es maximal der Fortpflanzung dient. Ich sage mal 98% der sexuellen Handlungen werden nicht aus dem Grund ausgeführt, dass man ein Kind zeugen möchte, sondern weil man in einer Beziehung zusammen sein will oder Bock hat oder einfach nur befriedigt werden will. Das finde ich ganz wichtig.

Warum ist es denn so ein riesen Tabuthema und so schambehaftet?

Ich glaube, dass das einen ganz frühen Background hat. Und ich glaube auch, dass es mit dem Thema Frau und Religion zu tun hat. Also rein von der Biologie her, wenn Frauen gebären konnten, war das früher ja fast Gottgleich. Frauen wurden ja früher auch verehrt für diese Fähigkeit. Natürlich braucht es zwei verschiedene Dinge dazu, aber ich finde es so spannend - um den Bogen ins hier und jetzt zu ziehen - ich habe zum Beispiel ganz viele Frauen bei mir sitzen, die sagen “boah in meiner Beziehung stimmt etwas nicht, weil ich viel mehr Lust habe als mein Partner und das stimmt doch nicht, weil Männer doch immer viel mehr Lust auf Sex haben, also was mache ich falsch? Liebt er mich nicht mehr?” Weil man ganz oft Liebe oder jemanden sexuell anziehend finden wieder mit einer Erektion vom Penis verknüpft - es ist ein Teufelskreis, den ganz viele Frauen erleben. Uns wurde immer eingeredet, dass Frauen die sind, die weniger Lust haben, die nicht so triebgesteuert sind, die diese mütterliche Fürsorge haben. Das sind dann alles Zuschreibungen, die wir über die Jahre von der Gesellschaft bekommen haben und diese Zuschreibungen wurden irgendwann die Realität an die wir glauben. Das ist so fest verankert in unseren Köpfen, dass es oft richtig schwer wird diesen persönlichen individuellen Zugang zur Sexualität zu finden. Nämlich nicht jener, der mir von außen übergestülpt wurde, wo ich denke “dem muss ich entsprechen” sondern jener, der mich selber erfüllt. Ein gutes Sexleben kann täglicher Sex sein, einmal im Monat oder alle 4 Monate, oder auch bewusst keinen Sex zu haben, je nachdem wie es für ein Paar eben passt.

Wie gehst du in der Regel vor, wenn sich jemand bei dir meldet?

Wenn sich jemand bei mir meldet, lass ich sie oder ihn erstmal das “Problem” schildern und dann beginne ich die Person sexologisch zu evaluieren. Nach verschiedensten Gesichtspunkten. Das heißt, ich schau mir zum Einen an, was sind die Glaubenssätze,

wie bewegt sich die Person, also wie ist der Muskeltonus und Rhythmus. Es gibt Leute, die immer angespannt sind und auch beim Kiefer zum Beispiel diese Dauerspannung richtig bemerkbar ist. Und so eine ganz easy peasy Hausaufgabe wäre, sich selber beim Masturbieren zu beobachten. Da gehe ich von Menschen aus, die masturbieren, es mögen oder es hin und wieder praktizieren. Und bei Menschen, die das selber gar nicht machen, weil sie es eklig finden, sich selber anzufassen, muss ich natürlich ganz woanders anfangen. Aber grundsätzlich macht es total Sinn herauszufinden, wo an meinem Körper sind Hotspots oder erogene Zonen. Es gibt noch so viel mehr als die Genitalien, wo wir Lust empfinden können und die sozusagen auch eine Erektion genital hervorrufen können. Das klingt jetzt so lustig “ja, cool wir üben das Masturbieren”, aber wenn es dann richtig ans Eingemachte geht, kann das ganz schön anstrengend werden. Aber der Vorteil ist, je flexibler man selbst in der Gestaltung seiner Sexualität und seiner Lust ist, desto besser passt man natürlich mit verschiedensten Partner*innen zusammen, da man sich auch besser auf den anderen einstellen und trotzdem auf seine Kosten kommen kann. Auch im Kindesalter werden diese sexuellen Basiskompetenzen gelegt. Deswegen finde ich Sexualaufklärung auch wichtig nicht erst ab 13, 14 zu betreiben, sondern von Geburt an die lustvollen Zugänge zum eigenen Körper zu fördern. Das kann Pfützenspringen oder nackt durch die Wohnung laufen sein. Sich selber lustvoll und genussvoll erleben können Kinder ja noch viel besser. Diese frühen Erfahrungen beeinflussen auch unsere Sexualität – ein Leben lang.  

 

Ich betreibe zudem sexuelle Aufklärung an Schulen oder halte Elternabende. Was mir dabei wichtig ist klarzustellen: Jede sexuelle Bildung ist auch immer Präventionsarbeit und das ist vielen nicht klar. Denn es kursieren so viele dumme Mythen und so viel falsches Wissen im Internet, gerade wenn man Kindern und Jugendlichen immer sagt “ne, dafür bist du noch zu jung und zu klein oder das musst du nicht wissen”. Oder ihnen wirklich falsche Sachen erzählt werden wie “Dich hat der Storch gebracht”, was Gott sei Dank nicht mehr so oft der Fall ist, aber hin und wieder kommt es trotzdem noch vor. Ich hatte das mal, dass in der 4. Klasse ein Mädchen sich nicht mehr getraut hat ihrem Papa oder dem Bruder einen Kuss zu geben, weil sie dachte vom Küssen werden die Leute schwanger. Das sind so viele Ängste, die gar nicht sein müssen. Auch diese Angst vor der ersten Periode oder dem ersten Geschlechtsverkehr. Das müsste alles nicht sein, weil eigentlich haben die meisten Menschen Sex, weil sie Lust drauf haben, weil es sich gut anfühlt, es lustvoll ist, es ihnen etwas gibt und nicht weil sie Schmerzen dabei haben. Je mehr man die Leute stresst umso mehr verkrampft sich der Körper und umso weniger kann ich es auch genießen. Also es ist ja auch ein Teufelskreis, da muss ganz viel Angst abgelegt werden. In jeder Schulklasse kommt die Frage, ob das erste Mal Sex wirklich so wehtut? Oder auch Mythen wie das Jungfernhäutchen, da werden ja auch ganz viele Frauen unterdrückt und es ist so viel Blödsinn in den Köpfen unterwegs.

Ich frag mich auch immer wo die qualitativ hochwertige Aufklärungsarbeit bleibt, die sukzessive von Instagram blockiert wird. Wir schreiben jetzt Sex mit einem Eurozeichen, damit wir nicht gelöscht und gesperrt werden. Da fragt man sich, in welchem Jahrhundert leben wir denn bitte?

Und meistens ist es so, dass Aufklärungsaccounts gesperrt werden, aber wenn irgendwelche Stars und Sternchen sich halb nackt präsentieren oder Gewaltdarstellungen machen, nichts gelöscht wird. Das ist so eine Doppelmoral. Genau wie Stillen in der Öffentlichkeit. Brüste sind so lange gut, solange man sie sexualisieren kann. Sobald sie der Ernährung eines Babys dienen ist es bei vielen aber vorbei mit der Toleranz.

Worum kreisen deine Gedanken im Moment viel? Was bewegt dich im Moment?

Tatsächlich kreisen meine Gedanken im Moment gerade darum, wo es hingeht. Also wo ich mit meiner Selbstständigkeit hinwill und wo ich dann auch lande. Wo ziehe ich für mich die Grenze - auch meine persönlichen Grenzen wahrzunehmen und zu setzen. Aber auch was ist, wenn mein Instagram-Konto auf einmal gelöscht wird? Das sind 4.900 Leute - das mag für einige nicht viel sein, aber für mich ist das richtig viel. Da steckt so viel Arbeit drin, das würde mich ziemlich nerven, ärgern und verletzen, wenn das auf einmal weg wäre. Und das Blöde ist, dass man diesem Instagram Algorithmus gegenüber so machtlos ist. Selbst wenn man eine Supportanfrage schickt, kriegt man keine Antwort zurück. Das beschäftigt mich gerade schon und nervt mich auch sehr.

Was war bisher deine größte Herausforderung?

Das ist tatsächlich bis jetzt die schwierigste Frage gewesen. Aber die größte Herausforderung ist, glaube ich, immer wieder “zu mir selbst zu stehen” mir selbst auch eingestehen, dass ich keine Maschine bin und nicht rund um die Uhr arbeiten muss und kann. Jetzt tatsächlich gerade im Lockdown merke ich das. Ich checke Montag bis Sonntag meine Emails, schreibe den Leuten sofort zurück, drehe Stories, das ist halt Arbeit für mich. Ich habe keinen einzigen Tag in der Woche, wo ich mal wirklich bewusst nicht arbeite.

Was auch dazu gehört, ist dieses “liebevoller mit sich selbst umzugehen” und auch damit umzugehen, wenn man mal etwas nicht schafft, wenn man mal nicht so produktiv ist. Wenn man mal einen Fehler macht oder ein Endprodukt nicht so ist, wie man sich das so vorgestellt hat. Ich glaube das ist gerade meine größte Herausforderung. Und dann nicht damit zu beginnen meine alten destruktiven Glaubenssätze wieder rauszuholen. Ich glaube diese Gedanken habe ich nicht allein, ich glaube die hat jeder Mensch in welcher Form auch immer und die springen dann halt genau an den falschen Zeitpunkten hoch. Aber das Gute ist, dass man es sich auch erklären kann, da man ja weiß, dass es diesen Teil vom Gehirn schon bei den Menschen in der Steinzeit gab. Immer wenn du etwas unsicher bist oder Dinge hinterfragst und du dir selber die Frage stellst “Ist das überhaupt sinnvoll so wie ich das mache, passt das überhaupt?” wird dein Gehirn immer “nein” sagen, weil es immer darauf konditioniert ist dich vor Gefahren zu schützen. Es wird dir immer sagen “Hey, da könnte irgendwo eine Gefahr lauern, also sag ich lieber mal nein bevor du irgendwo hingehst und vielleicht von einem Säbelzahntiger gefressen wirst” Und das schöne ist, dass es eine ganz normale Hirnreaktion ist. Dann kann man sich aber auch sagen, “hey, ich weiß, dass du mich davor schützen willst, aber ich mach es trotzdem, du musst dich jetzt nicht fürchten, dass mich jetzt in der Nacht ein Säbelzahntiger auffrisst oder so.”

Vielen lieben Dank für das wunderbare Interview, Magdalena!