Wir haben zwei selbsternannte Feminist*innen zum Thema Feminismus befragt. Eine Frau und einen Mann. Wie Alina durch den Feminismus zu mehr Selbstliebe und Unabhängigkeit kam und was hinter dem Begriff FLINT* steckt, könnt ihr hier nachlesen. Außerdem sprechen sie darüber, warum der viel diskutierte Begriff „Feminismus“ weiterverwendet werden sollte und weshalb auch Männer ein wichtiger Teil der Bewegung sind.
Wie und wann kamst du zum ersten Mal mit Feminismus in Kontakt?
Alina
“Ich weiß noch, wie ich mich in der Oberstufe immer über meine Stufenkamerad*innen aufregte: Denn egal, wer über die letzte Party sprach: Die „Schlampen“, die mit viel zu vielen Typen rummachten, waren immer weiblich. Ich weiß noch, wie ich da zum ersten Mal merkte, dass mein widersträuben gegen dieses Denken, dass Frauen, die einfach selbstbestimmt Typen aufreißen, gleich als „Schlampen“ bezeichnet werden – und zwar ausschließlich Frauen, nie Männer. Dort verband ich meine Ablehnung gegen sexistische Denkweisen zum ersten Mal mit dem Wort „Feminismus“. Ein Jahr später las ich die Bücher „Fleischmarkt“ und „Unsagbare Dinge“ von Laurie Penny, einer britischen Feministin. Sie sprach mir aus der Seele! Ab diesem Zeitpunkt nannte ich mich selbst Feministin und hatte eine Ahnung, was für mich Feminismus ist und sein soll. Im Studium habe ich mich dann durch Freund*innen mit Queer-Feminismus auseinandergesetzt und würde mich selbst heute so labeln. Aber meine ersten feministischen Gedanken aus meiner Jugend schließen sich damit nicht aus.”
Ruben
“Das erste Mal, habe ich mich in der Uni konkret mit Feminismus auseinandergesetzt!”
Was bedeutet Feminismus für dich?
Alina
“Feminismus, oder besser gesagt Queer-Feminismus bedeutet für mich solidarisch mit FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, non-binary, trans und agender) Personen zu zeigen. Diese Idee vertreten nicht alle Menschen, die sich als Feminist*innen verstehen: Viele sind der Meinung, dass das „queer-„ nicht vor Feminismus gehört. Das ist allerdings ausschließend und entspricht nicht den diskriminierenden Realitäten, denn von Diskriminierung aufgrund von Gender und sexueller Orientierung sind nicht nur Cis-Frauen, sondern FLINTA* betroffen. Gleichzeitig bedeutet für mich Queer-Feminismus auch meine eigenen Privilegien und Position zu hinterfragen: Ich bin weiß, cis, heterosexuell, genieße Bildung- und Wohlstandesprivilegien. Wie meine Selbstbeschreibung grade gezeigt hat, verbinde ich Queer-Feminismus auch mit anderen Diskriminierungserfahrungen wie Rassismus, Ableism, Lookism, Klassismus, etc.. Denn mein Feminismus ist intersektional: Verschiedene Formen von Diskriminierungen können sich kreuzen und schaffen verschiedene Erfahrungen von Diskriminierung. Das bedeutet für mich also auch, dass ich nicht für das Sprechen oder das Wort ergreifen kann, was ich nicht bin, weil ich diese Erfahrungen nicht gemacht habe. Dennoch kann ich mich auf vielfältige Weise solidarisch mit FLINTA* zeigen. All das, was ich grade beschrieben habe, hat mir persönlich schon viel gegeben: Selbstliebe, Unabhängigkeit und Freiheit – und letztendlich die Energie, jeden Tag (im Großen, wie im Kleinen) meine Kämpfe zu kämpfen und mich mit anderen Kämpfen solidarisch zu zeigen.”
Ruben
“Feminismus bedeutet für mich in erster Linie, bestehende hierarchisch aufgeladene Geschlechterverhältnisse zu hinterfragen und zu verändern. Zudem schafft es mir persönliche Freiheit, da feministisches Denken mir dabei hilft, mich von gefestigten Vorstellungen und Identitäten zu lösen und ich mich so aktiv selbst definieren kann.”
Sollte der Begriff “Feminismus” weiter verwendet werden?
Alina
“Gegenfrage: Welcher Begriff beschreibt besser all das, was unter „(Queer)-Feminismus“ zu verstehen ist? Jeder neue Begriff, den man sich für den Kampf gegen die Diskriminierung von FLINTA* überlegen würde, würde genau in das gleiche Kreuzfeuer konservativer und rechter Kritik geraten (siehe „Genderwahn“). Für mich muss der Begriff oder besser Kampfbegriff „Feminismus“ solange bestehen, wie es Ungerechtigkeit und Diskriminierung auf der Basis von Sexismus, Heteronormativität und patriarchalen Strukturen gibt. Außerdem ist Feminismus eine historisch gewachsene Bewegung, die sich mittlerweile stark differenziert hat, aber trotzdem Frauen* in ihrem Kampf verbindet. Der Begriff schafft Solidarität im Kampf zu unterschiedlichen „Themen“ und „Strömungen“, denn jede*r der*die sich (Queer-)Feminist*in nennt, findet irgendwo auf der Welt Kompliz*innen, weil jede*r weiß, was mit „Feminismus“ gemeint ist. Ein neuer Begriff müsste so eine Leistung erstmal vollbringen!”
Ruben
Meines Erachtens schon. Der Begriff ist zwar für viele Menschen negativ behaftet, allerdings bezweifle ich, dass sich durch ein neues Label was daran ändern würde und es wäre unnötig kompliziert. Zudem
wurde unter dem Begriff auch schon viel erreicht und er hat eine lange Historie.
Warum denkst du, dass Männer ein wichtiger Teil in der feministischen Bewegung sind?
Alina
“Alle Menschen sind auf unterschiedliche Weise vom „patriarchalen System“ in dem wir leben betroffen. In der Gesellschaft sind die Erwartungen an Männer dominant (z.B. an Selbstbilder und Beziehungskonzepte), die ebenfalls auf sexistischen, heteronormativen und patriarchalen Denkweisen beruhen. Das wusste Herbert Grönemeyer („Wann ist ein Mann ein Mann?“) schon in den 80ern. Heute umschreibt der Begriff „toxic masculinity“ ziemlich gut, wie die Vorstellungen zu Männlichkeit in unserer Gesellschaft auch belastend für Männer sind: Männer sollen keine Gefühle und nicht verletzlich zeigen, sie sollen stark und beschützend sein und auftreten. Und warum ist diese ganze Männlichkeit toxisch? Weil es einerseits die Frauen* belastet, die als das Gegenteil angesehen werden ((über)emotional, schutzbedürftig, sensibel, schwach), aber vor allem, weil es Männer kaputt macht, was sich unter anderem auch in höheren Depressions- und Suizidraten von (cis-)Männern zeigt. Feminismus hat also auch mit Vorstellungen von Männlichkeit zu tun.
Wichtig ist für mich, wenn Männer Frauen*/FLINTA* in ihren Kämpfen unterstützen wollen, dass sie sich ihrer eigenen strukturell besseren Position bewusst sind und sich solidarisch zeigen, aber nicht für Frauen* sprechen. Sie können uns unterstützen, indem sie uns in unseren Kämpfen unterstützen, aber es reproduziert eben auch Sexismus, wenn ein Mann glaubt eine Frau* und ihre Erfahrungen zu kennen und für sie sprechen zu können. Ein Verständnis davon, wie Männer von Sexismus betroffen sind, und zwar durch „toxische Männlichkeit“, hilft dabei, das als Mann anzuerkennen.
Ich würde mir in meinem Umfeld einfach viel öfter wünschen, dass Männer nicht im Namen des Feminismus für und über die Diskriminierung von Frauen reden, sondern mit anderen Männern/ihren Freund*innen über die Probleme von gegenwärtigen Männlichkeitsvorstellungen sprechen, also darüber, was ihre Position im patriarchalen und heteronormativen System eigentlich ist und warum das ein riesiges Problem ist und die Diskriminierung von Frauen+ verstärkt. Denn sich gegen Sexismen im Freund*innen und Familienkreis zu stellen, fällt vielen Männern oft noch schwerer als in das so leichte und problematische Muster zu verfallen, als „Feminist“ für Frauen zu sprechen, statt als „Feminist“ gegen „toxische Männlichkeit“.
Ruben
“Ich denke, dass Menschen jeglichen Geschlechts daran beteiligt sind, dass es Ungleichbehandlung und Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht gibt. Insbesondere bestimmte Formen von Männlichkeiten sind dabei aber besonders toxisch und häufig diskriminierend. Insofern kann und sollte es beim Feminismus für Männer* insbesondere auch darum gehen, diesen Männlichkeiten entgegenzuwirken. Diese Männlichkeiten bewusst zu hinterfragen kann sowohl Diskriminierung vorbeugen, als auch eine Befreiung für die jeweiligen Männer* sein.”