Ich weiß jetzt, dass ich mit Sauerstoffschlauch im Gesicht nicht weniger Wert bin
Mit unserer Kampagne möchten wir uns dafür stark machen, dass Frauen* sich nicht für andere verbiegen und einfach so sind wie sie sein wollen. Wir möchten echten Powerfrauen aus unserer Community eine Plattform geben, ihre Geschichte zu erzählen und so uns und andere Frauen* zu empowern und inspirieren. Offen und ehrlich - ganz nach dem Motto: #seiwieduwillst
Wir stellen euch eine absolute Powerfrau aus der MYLILY-Community vor. Michelle ist 24, Influencerin, Make-Up-Fanatikerin, Bücherwurm und kämpft mit einer unbekannten Lungenkrankheit. In dem persönlichen Interview spricht sie davon, wie sie gelernt hat, mehr auf sich und ihren Körper zu achten, mit der Sichtbarkeit ihrer Krankheit einen Umgang zu finden und wofür sie alles brennt.
Wer bist du und was machst du?
Ich bin Michelle - Freunde & Familie nennen mich Shelly - ich bin seit 2019 verheiratet und im Moment konzentriere ich mich hauptsächlich auf das, was mir gut tut. Ich habe eine unbekannte Lungenkrankheit, bei der man nicht genau weiß, was dahinter steckt. Außerdem bekomme ich volle Erwerbsminderungsrente und gebe nebenbei online Nachhilfe. Da hat mir persönlich Corona ganz gut in die Karten gespielt, weil es halt einfach zu anstrengend gewesen wäre, immer zu den Schüler*innen zu fahren. Durch die Rente reichen auch 2-3 Stunden Nachhilfe pro Woche. Das nimmt sehr viel Stress bei mir. Da war bei mir immer ein permanenter Druck, dass man was leisten muss und das ist jetzt mit der Rente zum Glück nicht mehr so.
Was genau heißt denn “unbekannte Lungenkrankheit”?
Es ist halt nicht eine Krankheit speziell. Es ist ganz schön kompliziert, um ehrlich zu sein. Deswegen ist es auch mit der Therapie nicht so einfach. Man hat keine Krankheit, bei der man sagt: “du hast diese eine Krankheit und dafür brauchst du diese Medikamente.” Bei mir muss man immer ein bisschen rum probieren. Ich war ja ein kerngesundes Baby und es ging im Kleinkindalter los, dass ich oft krank war. Ich hatte immer mal wieder eine Lungenentzündung, eine Grippe und bin halt ziemlich oft ausgefallen.
Wie lange hat es gedauert, bis du das für dich verstanden hast. Hat dich das sehr eingeschränkt?
Ich hatte aber nie das Gefühl, dass mich das irgendwie eingeschränkt hat. Ich hatte immer Freunde in dem Kindergarten oder der Schule auch wenn ich nicht so oft da war, wie die anderen. Wo ich gemerkt habe, dass ich anders bin, war in der Grundschule, weil ich beim Sportunterricht nicht mitmachen konnte. Ich habe in der 1. Klasse mitgemacht und gesehen, dass es einfach nicht geht. Dann habe ich mich ab der 2. Klasse befreien lassen, auch aus dem Grund, dass es das einfach nicht sehen konnte und es mich immer belastet hat. Ich saß da als kleines Kind, sah die anderen rumturnen und ich konnte nicht mitmachen. Das hat mich auch psychisch ganz schön belastet und deshalb habe ich mich befreien lassen. Dann konnte ich entweder früher nach Hause oder später in die Schule, was dann auch nicht schlecht war. Dadurch, dass es nicht “mitbekommen” habe, war das auch kein Thema mehr für mich. Ansonsten hat mich das nicht groß eingeschränkt, was zum Beispiel Freunde angeht. Eher dann als Teenie in der Pubertät, als die anderen alle feiern gegangen sind. Mir war das aber auch nicht so wichtig und ich habe das Glück, dass mein Mann da genauso ist. Wir sind halt eher die, die zu Hause sind und Serie gucken oder ins Kino gehen während andere halt feiern gehen.
Was ist es, was wir im Moment gut tut?
Ich habe zum Beispiel zwei mal die Woche Atemtherapie, was mir sehr hilft. Außerdem mache ich ein bisschen Dehnübungen und Training - so viel ich halt machen kann.
Abgesehen davon liebe ich Beauty-Sachen - wie mich zu schminken oder baden zu gehen und mache für mich dann den ganzen Tag Wellness. Lesen tu ich auch sehr gerne; denn dabei kann ich gut runterkommen. Am liebsten lege ich mich dafür raus auf den Balkon. Meine eigene Selbstbestimmtheit tut mir auch gut. Dass ich sagen kann “heute geht es mir nicht gut.” Dann kann ich liegen bleiben, weil ich mir das eben ausgesucht habe. Und wenn es mir gut geht und ich sage “Ich habe heute mal Lust auf gar nichts.” Dann kann ich das halt einfach machen. Beziehungsweise nicht.
Das ist schön, dass du da so deinen Weg damit gefunden hast. War das schon immer so, dass du dir die Zeit für dich genommen hast?
Um ehrlich zu sein habe ich eine Weile gebraucht, bis ich gesagt habe, dass ich mehr auf mich achte. Ich glaube auch, wenn man eine Krankheit hat wie ich, dann muss man noch mal ein bisschen mehr auf sich schauen, als man es sowieso tun sollte. Das musste ich schon lernen. Ich bin zum Beispiel auch seit vielen Jahren bei einer Psychologin. Und jetzt bin ich so weit, dass ich nur noch bei Bedarf hingehe. Früher stand bei mir immer die Arbeit ganz oben. Wie es eben bei den Meisten ist. Man muss funktionieren und man muss das irgendwie auf die Reihe kriegen. Ich habe gelernt, dass ich mich mehr zurücknehmen und auch auf mich selbst achten muss.
Wie sah denn dein Lebenslauf aus?
Ich habe ganz normal die Schule besucht, wie jede*r andere auch. Danach habe ich 3 Jahre in Teilzeit eine Ausbildung zur Bürokauffrau in einem Integrationsbetrieb (Justland) gemacht, in dem Leute sind, die irgendwelche Defizite haben. Bei mir war es eben die Lunge, andere haben sich beim Lernen schwer getan, eine Kollegin war schwerhörig. Das war ganz cool, weil so hatte jede*r sein Problem und keine*r stand über dem Anderen. Das war ein ganz anderes Arbeiten als es oftmals sonst ist. Nach der Ausbildung habe ich noch ein Jahr lang bei Kolping in Teilzeit gearbeitet. Als ich meinen Sauerstoff bekommen habe wurde es ein bisschen komplizierter. Für mich war es dann recht schwer, damit die Treppen, die zum Büro gingen, zu gehen und habe mit der Zeit gemerkt “okay es ist zu anstrengend.” Deshalb habe ich aufgehört zu arbeiten und kriege volle Erwerbsminderungsrente. Die habe ich damals auch bekommen, als ich gearbeitet habe. Meine Arbeit war sozusagen ein Hinzuverdienst. Ich habe für mich entschlossen, dass ich auf dieses Geld verzichte und es das nicht wert ist, weil es einfach so anstrengend war. Seitdem ich nicht mehr arbeiten gehe und mein Leben nach meiner Gesundheit anpassen kann, ist meine Lunge stabil. Und das heißt schon was, denke ich.
Du gehst ja auch Instagram sehr offen mit deiner Krankheit um. Ist das für dich eine Überwindung gewesen oder wie hat sich das so entwickelt?
Als ich den Sauerstoff bekommen habe, war das für mich ehrlicherweise echt schwierig. Ich habe schon immer gerne Fotos gemacht habe. Es war schon als Kind so, dass wenn jemand die Kamera hingehalten hat, dann habe ich gesagt: “Ja hier.” Ich dachte, dass der Sauerstoffschlauch hässlich ist und die Bilder damit nicht so schön sind, weshalb ich den dann beim Fotografieren immer runter gemacht habe. Obwohl ich von der Luft her gemerkt habe, dass es mir schlechter geht. Irgendwann hat meine Fotografin, die auch eine Freundin von mir ist, einen Schnappschuss von mir gemacht. Ich glaube, ich habe den Sauerstoffschlauch gerade abmachen wollen und in dem Moment hat sie abgedrückt. Das Bild ist dann so cool geworden, dass ich beim nächsten Mal gesagt habe “Wir machen die eine Hälfte mit und die andere Hälfte ohne Schlauch.” Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass mich das nicht entstellt. Es hat aber schon eine Weile gebraucht. Das geht aber auch nicht einfach von heute auf morgen. Auch die Therapie, die ich gemacht habe, hat viel dazu beigetragen, dass ich jetzt ganz cool damit bin.
Sehr bewundernswert. Wie waren denn die Reaktionen von deinen Followern und Followerinnen?
Eigentlich nur positiv! Viele meiner FollowerInnen haben auch einen Sauerstoffschlauch und die haben sich eben nicht getraut, sich damit auf öffentlich zu zeigen. Das kann ich auch total nachvollziehen. Durch mich wurden viele ermutigt, den Schlauch auch draußen zu tragen und damit zum Beispiel in die Bäckerei zu gehen. Wir haben uns da auch gegenseitig unterstützt und motiviert.
Wenn ich selbst bei fremden Leuten war, dann hat mir das nichts ausgemacht, weil die mich ja nicht anders kannten. Wenn ich aber irgendwohin gegangen bin, wo die Leute mich vorher ohne Sauerstoff kannten, dachte ich mir immer “was sollen die denn jetzt denken?” Ich war ja vorher schon krank, aber das wusste keine*r, weil man es mir nicht angesehen hat. Mich mit dem Sauerstoffschlauch auf Instagram zu zeigen, hat mir sehr geholfen, weil mich dann viele Leute, zum Beispiel die mit mir auf einer Schule waren, schon damit gesehen haben und ich gar nichts mehr erklären musste. So viel es mir dann auch leichter.
Seit wann machst du eigentlich Instagram?
Ich glaube seit 2018. Ich habe im Dezember 2017 meinen Sauerstoff bekommen und dann hab ich ungefähr ein Jahr gebraucht, dass ich ihn auch gezeigt habe. Es ging aber so schnell, dass man andere gefunden hat, die auch lungenkrank sind. Durch Hashtags zum Beispiel.
Hat sich, als du angefangen hast den Sauerstoff auf Fotos zu tragen und damit selbstbewusst umzugehen, auch was mit deinem eigenen Verhältnis zu dir selber gemacht?
Ja auf jeden Fall! Ich war früher schon sehr - ich will gar nicht sagen eitel - aber ich habe immer darauf geachtet, wie ich aussehe. Wenn ich einkaufen gegangen bin, habe ich gedacht, dass ich mich jetzt fertig machen muss. Mit der Zeit bin ich dann irgendwie lockerer geworden. Denn ich bin ja nicht weniger wert, nur weil ich jetzt eine Jogginghose an oder einen Schlauch im Gesicht habe. Das habe ich lernen müssen und jetzt ist es aber so, dass ich im Kleid einkaufen gehen könnte und ich mich genauso wohl in Jogginghose fühlen würde.
Was für Gedanken kreisen denn im Moment am meisten in deinem Kopf rum?
Über diese Frage habe ich sehr lange nachgedacht und dann ist mir das Strichwort “Möglichkeiten” eingefallen. Dadurch, dass ich krank bin, haben viele Menschen Möglichkeiten, die ich eben nicht habe. Einfach weil ich es luftmäßig gar nicht schaffen würde. Aber andererseits habe ich durch meine Krankheit Erfahrungen gesammelt, die andere hoffentlich nicht erfahren müssen, die aber auch immer etwas Positives mit sich bringet. Für mich ist es immer ein Zwiespalt, darüber nach zu denken, was jemand kann, was ich nicht kann. Das ist fast wie Engel und Teufel auf meiner Schulter. Dabei würde ich gar nicht sagen, dass ich neidisch bin, sondern einfach bewundere, was andere können.
Ich bin zum Beispiel super dankbar für den krassen Zusammenhalt zwischen mir und meinem Mann. Ich habe öfters mal Phasen, in denen es mir super schlecht geht, was aber nicht schlimm ist, weil wir dann zusammenhalten. Er macht ganz schön viel und kocht zum Beispiel oft. Auch unsere Ausflüge, die wir mit dem Rollstuhl machen und neue schöne Orte entdecken, an denen keiner ist, geben wir sehr viel.
Im Krankenhaus habe ich auch so coole Sachen schon erlebt habe, was andere, die nicht im Krankenhaus sind, nicht erleben werden.
Was nervt dich denn im Moment am meisten?
Das habe ich mir aufgeschrieben, weil das verschiedene Sachen sind.
Es nervt mich zum Beispiel, dass ich oftmals nicht so selbstständig sein kann, wie ich gerne möchte. Das ist natürlich auch einfach krankheitsbedingt. Mich nervt auch gerade in der aktuellen Situation, dass jeder Tag gleich ist und man nicht einfach machen kann, was man will. Das kann ich ja ohnehin schon nicht, aber jetzt halt noch weniger. Wenn ich Freitagnachmittag in die Stadt will, dann muss ich mir das noch 3 Mal überlegen, weil wir grade diese Situation haben. Man kann sich im Moment keine Erinnerungen schaffen. Wenn ich manchmal überlege, was habe ich letzte Woche gemacht, weiß ich das schon gar nicht mehr, weil alles gleich ist, die Zeit so schnell vergeht und man nichts Besonderes erlebt. Man weiß halt auch nicht, wann ein Ende in Sicht ist.
Dieses Interview mein Highlight des Monats, weil es mal wieder was Besonderes ist. Es hat bestimmt auch gute Seiten, weil man sich mit bestimmten Sachen mehr beschäftigt. Wir waren nach dem Lockdown im März in der Stadt ein Eis essen und waren in einer Bücherei. Das allein hat unsere Batterien wieder total aufgeladen. Wir haben dann beim Autofahren Musik gehört und gesungen und waren richtig überdreht. Weil das einfach so besonders für uns war. Ich hoffe, dass ich so etwas ganz lange zu schätzen weiß.
Oder mal wieder in den Biergarten gehen. Wenn wir mal wieder im Biergarten sind, dann wird das glaube ich mein Highlight des Jahres.
Wofür brennst du?
Ich habe es ja vorhin schon ein bisschen gesagt...auf jeden Fall für Fotoshootings und Make-up. Manchmal, wenn ich mich nicht so gut fühle und blass bin, je nachdem wie die Luft ist, male ich mir meine Lippen an und dann geht es mir schon besser. Einfach weil ich das für mich gemacht habe, auch wenn das gar keiner sieht.
Außerdem liebe ich die Natur allgemein und Hamburg es mir total angetan, als mein Mann und ich dort in den Flitterwochen waren. Ich glaube ich habe da wirklich mein Herz verloren. Das ist meine Lieblingsstadt. Wir haben dort ein Fotoshooting vor einem Leuchtturm gemacht, was immer mein Traum war. Als ich vor diesem Leuchtturm stand habe ich vor Freude geheult, weil ich mich so gefreut habe. Deswegen würde ich auf jeden Fall sagen, ich brenne für Hamburg. Ich freue mich auch, wenn man wieder verreisen kann und das nächste, wo es dann hin geht ist auch Hamburg. Mich catcht dort einfach alles. Aber ich würde auch nicht, wenn ich die Möglichkeit hätte, nach Hamburg ziehen. Für mich ist das eher Urlaub und es soll immer was Besonderes bleiben. Aber ich bin auch hier im bayerischen Wald gerne in den Bergen. Wenn ich jetzt aus dem Fenster hier gucke, dann sind da die Berge, was total schön ist.
Vielen Dank für das schöne Interview liebe Michelle.