Jede Geschichte und jeder Mensch ist so einzigartig. Ich brenne dafür, dass Menschen sie selbst sind.
Mit unserer neuen Kampagne möchten wir uns dafür stark machen, dass Frauen* sich nicht für andere verbiegen und einfach so sind wie sie sein wollen. Wir möchten echten Powerfrauen aus unserer Community eine Plattform geben, ihre Geschichte zu erzählen und so uns und andere Frauen* zu empowern und inspirieren. Offen und ehrlich - ganz nach dem Motto: #seiwieduwillst
Wir durften der zauberhaften 21-jährigen VWL-Studentin & Influencerin/Creatorin Vika ein paar Fragen stellen. In dem sehr persönlichen & interessanten Interview erzählt sie von Feminismus und warum wir ihn brauchen, über die Liebe & Akzeptanz des eigenen Körpers und wie sie jungen Mädchen durch ihre eigenen Erfahrungen Mut machen möchte. Für das Interview gilt eine TRIGGERWARNUNG zur Essstörung!
War es schon immer so, dass du dich für diese Themen interessiert hast?
Ich habe mich früher als “Maskulistin” bezeichnet. Meine Freunde sagen, das ist ein wissenschaftlicher Ausdruck für ein “Pick-me-Girl” 1. Früher war ich tatsächlich eine große Gegnerin vom Feminismus. Ich habe sogar mal mit meiner Geschichtslehrerin darüber gestritten, dass Feminismus ja gar nicht nötig und total übertrieben ist und dass die Frauenbewegung nur Frauen bevorzugt. Damals habe ich den Begriff komplett missverstanden, mich aber natürlich auch nicht informiert - aber was erwartet man auch von einem 15-jährigen Mädchen? Dieses Thema hat mich im letzten Jahr aber am meisten verfolgt und ich habe mich auch viel damit beschäftigt. Da ist mir auch klar geworden, wie wichtig Feminismus eigentlich ist. Heute stehe ich vollkommen dahinter und versuche mein Wissen und meine Erfahrungen dazu so verständlich wie möglich online zu teilen.
Also nein, das war nicht immer so.
Wie sind denn die Reaktionen auf deinem Kanal gewesen, als du mit den Themen angefangen hast?
Kommentare dazu kamen schon. Ich habe gestern erst einen Beitrag zu Cyber Mobbing gedreht und eine Nachricht einer Bekannten von damals gefunden, die mir eine Hate Nachricht geschickt hat. Ich habe sie damals natürlich sofort blockiert, aber es hat mich schon geschockt, weil ich sie ja eigentlich kannte und gut mit ihr ausgekommen bin. Das macht einem bewusst, wie oberflächlich ich mit einigen Menschen Kontakt hatte und dass ich gar nicht wusste, was in ihren Köpfen vorgeht. Bei manchen Menschen hat sich dann schon herausgestellt, dass unsere Ansichten gar nicht übereinstimmen.
Aber ich habe durch die Themen, die ich in meinem Content auf Instagram anspreche, super viele tolle Menschen als FollowerInnen dazu gewonnen - denen vertraue ich auch irgendwie. Auf Instagram fühle ich mich sehr sicher.
Auf TikTok ist das ein bisschen anders, da die Videos total beliebig ausgestrahlt werden und es passiert auch ab und zu, dass diese eine ganz falschen Zielgruppe erreichen. Da bekommt man dann schon mal Hate ab.
Wie gehst du mit diesem Hate um?
Unter einem Post auf TikTok musste ich tatsächlich die Kommentare deaktivieren, weil diese voll mit Homophobie waren. Im Endeffekt habe ich das Video sogar komplett gelöscht, weil sich der Hate von den Menschen, die die Kommentare geschrieben haben, auch auf meine anderen Videos ausgebreitet hat. Deshalb versuche ich auch auf TikTok meinen Content etwas vorsichtiger zu gestalten, denn das Risiko ist immer da, dass meine Videos an eine falsche Zielgruppe ausgestrahlt werden, die sich noch nicht so intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat oder auch einfach anderer Meinung ist.
Auf Instagram ist es viel schöner auch kritische Themen anzusprechen, da meine Community total hinter mir steht. Wenn ich ein Reel poste und darunter blöde Kommentare kommen, mischt sich meine Community immer ein und verteidigt mich.
Ich glaube aber, dass mit einer größeren Reichweite immer Menschen dabei sind, die nicht mit dem Inhalt der Postings einverstanden sind.
Woran liegt es, dass so viele Menschen Feminismus falsch verstehen und sich auch viele Männer bedroht fühlen?
Früher war mein Argument immer, dass es FEM-inismus und nicht HUMAN-ismus heißt. Ich habe nicht verstanden, dass es dabei um ein strukturelles Problem handelt. Ich dachte immer “wenn es mir nicht so geht, dann gilt diese Regel nicht”. Dabei ist mir nicht aufgefallen, wie sehr ich selbst davon betroffen bin. Das war mir überhaupt nicht bewusst. Ich hatte zu der Zeit einige psychische Probleme und einen sehr starken Aufmerksamkeitsmangel. Wenn Männer mich damals begehrt haben, dann dachte ich mir “wie cool, mich mag jemand.” Jetzt würde es mich total stören bzw. stört mich das total. Diese Sexualisieirung und Objektifizierung von Frauen ist einfach ätzend!
In vielen Kommentarspalten, in denen es um Feminismus geht, lese ich Kommentare wie “Ihr unterstützt die Männerrechte gar nicht” und “ihr seid doch gar nicht für alle da, sondern nur für die Frauen und wollt, dass Frauen an oberster Stelle sehen.” Auch Kommentare zum Frauentag wie “warum gibt es keinen Männertag?” tauchen dort auf. Na, eben da jeder Tag Männertag ist. Damals habe ich nicht realisiert oder wahrgenommen, wie privilegiert weiße cis hetero Männer sind.
Hast du denn eine eigene Definition von Feminismus?
Feminist*innen sind auf jeden Fall keine Männerhasser*innen. Ich habe nun auch verstanden, dass man bei der Wortwahl “Mann”, ebenso von einem sozialen Konstrukt und nicht von “diesem einen Mann” redet, der da über die Straße läuft. Das bedeutet aber auch, dass mit dem Ausdruck “Mann” eher die toxische Maskulinität gemeint ist, als die Männlichkeit an sich.
Feminismus ist für mich eine Bewegung der Gleichberechtigung, die leider sehr viele missverstehen.
Du thematisierst auf deinen Accounts ja viel die Liebe & Akzeptanz zum eigenen Körper. Wie war denn deine persönliche Entwicklung? Wie bist du dahin gekommen, dass du deinen Körper lieben & akzeptieren kannst?
Ich habe letztens ein Vergleichs-Bild von meinem Körper gepostet - ein Foto auf dem ich 15 war und eines, welches heute entstanden ist. Dazu muss ich sagen, dass ich früher wirklich krank war und eine Essstörung hatte. Als ich damals das Bild gesehen habe, was mich mit 15 zeigt - auf dem ich sehr schlank war - habe ich mir gedacht “Man bin ich fett.”
Mir hat damals meine 1. Beziehung extrem geholfen, was natürlich der falscheste Ansatz ist, den man überhaupt geben kann. Ich kann da ja nicht sagen “hey, bekomm einen Freund, dann ist deine Essstörung weg.” Aber mir hat es sehr geholfen, denn dieser Mensch hat mir gesagt , dass ich nicht dünn sein muss, um akzeptiert und geliebt zu werden. Ich habe damals immer gedacht “okay, ich bekomme nur Aufmerksamkeit, wenn ich dünn bin.” Was sich auch die ganze Zeit bestätigt hat. Ich war als Kind etwas pummeliger und es hat sich niemand um mich geschert. Als ich dann krank war, waren alle bei mir und haben sich um mich gesorgt. Ich dachte mir damals, dass es gar nicht wegen meiner Krankheit ist, da ich meinen Körper ganz anders wahrgenommen habe. Für mich war es eher wie ein Schönheitsideal, das ich endlich erreichen konnte. Auf einmal waren alle bei mir und meine Eltern kümmerten sich um mich. Da ich viele Geschwister habe, habe ich mich immer wenig beachtet gefühlt. Außerdem wollte ich auch dieses kindliche behalten. Ich bin sehr schnell erwachsen geworden, weil ich mit 12 Jahren aus Russland nach Deutschland gezogen bin und meine Mutter auf einmal gar keine Zeit mehr für mich hatte. Mit 13 habe ich dann meine 1. Diät angefangen und dann ging es ziemlich schnell, dass ich mit 14 Jahren nur noch 50 Kilo gewogen habe.
Da “reingekommen” bin ich damals tatsächlich über russische Social Media Seiten. Der Jugendschutz auf Social Media in Russland existiert auch de facto nicht. Ich habe das Wort “Diät” gegoogelt und bin über ein Tumblr-Bild auf Fotos von magersüchtigen Mädchen gestoßen, auf denen die Krankheit total romantisiert wurde. Ich bin dann in einer russischen Facebook Gruppe gelandet, die ein komplettes Sektengefühl vermittelt hat. Ich habe in dieser “Welt” 3 Jahre gelebt. Jedes Mädchen musste in dieser Gruppe einmal am Tag ein Foto reinstellen, was sie gegessen hat. Mit Kalorienangaben - je nachdem was für eine Diät man halt gemacht hat. Wir haben selbst Diäten und Essenspläne erfunden, die ich auswendig konnte und haben uns in dieser Gruppe zu diesen Diäten angefeuert. In der Gruppe habe ich für mich “Verbündete” und Freunde gefunden, die dasselbe Ziel hatten. Generell war das auch einfach ein echter Trend in Russland. Wir hatten rote Armbänder - daran haben wir uns alle erkannt. Das hat man tatsächlich sehr oft auf den Straßen gesehen. Ess war eine total kranke Bewegung. Starke Abführmittel gibt es in Russland auch rezeptfrei in den Apotheken zu kaufen. Das ist ein Riesenproblem.
Ich hatte zu der Zeit keine Freunde in Deutschland, denn ich hatte meine ganzen Freunde im Internet.
Mein 1. Freund hat mir dann zum Glück vermittelt, dass mein Körper nicht meine Persönlichkeit ausmacht. Er hat mir nicht wegen meiner Krankheit Aufmerksamkeit geschenkt, sondern wegen meiner Person. Da hat es dann bei mir auf jeden Fall Klick gemacht und ich habe mich nach und nach von der Gruppe distanziert. Das passierte allerdings ganz unbewusst. Ich habe angefangen, mich endlich selbst lieben zu können. Ohne dass ich es wirklich gemerkt habe, nahm ich zu und fand mich trotzdem schön.
Natürlich hatte ich sehr viele Rückfälle - vor allem was Bulimie angeht. Es hat wirklich sehr lange gedauert, bis die Rückfälle weniger wurden. Letztes Jahr hatte ich noch meinen letzten Rückfall. Die kommen vor allem dann, wenn es mir nicht gut geht. Aber mit jedem Rückfall wird es immer besser und geschieht immer seltener. Es braucht einfach sehr viel Zeit!
Schreiben dir auch viele Mädels & Frauen zu dem Thema?
Ja, total! Ich bekomme täglich bestimmt 100-200 Nachrichten. Ich habe jetzt auch einenAnsprechpartner, bei der Charitas, für schlimmere Fälle.
Es ist aber nicht einfach, mit den Nachrichten umzugehen; denn Betroffene sind in den meisten Fällen kein/e Ärzt/in und somit auch nicht die richtigen Ansprechpersonen. Meistens hilft es schon, der betroffenen Person die Aufmerksamkeit zu schenken und zu sagen “Hey, ich verstehe dich. Das ging mir auch so!” Ich empfehle auch immer zur Therapie zu gehen. Das ist einfach notwendig, sollte man es alleine nicht raus schaffen. Bei schweren Fällen leite ich die an die Charitas weiter.
Wofür brennst du?
Ich brenne für Menschen. Ich liebe Menschen einfach. Jede Geschichte und jeder Mensch ist so einzigartig. Ich brenne dafür, dass Menschen sie selbst sind. Total faszinierend ist es zu sehen, wie andere ticken, ihr Leben leben und damit so zufrieden und happy sind. Wenn ich dann sagen kann, dass ich der Grund bin, warum sie mit etwas angefangen haben, dann ist das schon ein außergewöhnliches Gefühl. Ich bekomme jeden Tag Nachrichten, in denen Mädels schreiben “Hey, ich habe mir einen Bikini gekauft.” oder “Hey, ich habe mich getraut, auf Tinder anzumelden.” Und da freue ich mich immer wieder drüber.
Danke für das Interview, Vika!
¹Pick-me-Girl: eine Frau, die sich frauenfeindlich verhält, weil sie will, dass sich Männer zu ihr hingezogen fühlen.